Tägliche Archive: 28/06/2025

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Einführung von Vorschriften für die Sanierung und Abwicklung von (Rück-) Versicherungsunternehmen

Was (Rück-)Versicherungsunternehmen jetzt wissen müssen

Die europäische Versicherungsbranche steht vor einer bedeutenden, regulatorischen Neuerung: Mit der Insurance Recovery and Resolution Directive (kurz: IRRD) wird erstmals ein EU-weiter Rahmen geschaffen, der einheitliche Regelungen für die Sanierungs- und Abwicklungsplanung von (Rück-)Versicherungsunternehmen einführt. Ziel der neuen Richtlinie ist es, die (Rück-)Versicherer und die zuständigen Behörden in der EU besser für erhebliche finanzielle Notlagen in der Versicherungsindustrie zu rüsten, sodass sowohl die (Rück-)Versicherungsunternehmen selbst als auch die zuständigen Behörden frühzeitig und schnell – gegebenenfalls auch grenzüberschreitend – intervenieren können. Dabei baut die IRRD auf den Erfahrungen des Bankensektors auf, welcher bereits seit 2014 ein EU-weites Sanierungs- und Abwicklungsregime aufgebaut hat (Banking Recovery and Resolution Directive, BRRD).

Die IRRD ist zum 28. Januar 2025 in Kraft getreten und nun innerhalb von zwei Jahren beziehungsweise bis spätestens 28. Januar 2027 in nationales Recht umzusetzen. Die Konsolidierungspapiere sind am 29. April 2025 veröffentlich worden, Stellungnahmen sind noch bis zum 31. Juli 2025 möglich.

Nachfolgend eine kurze Zusammenfassung der Kernelemente der bereits veröffentlichten IRRD-Dokumente, die Richtlinie des Europäischen Parlaments sowie die Konsultationspapiere der EIOPA mit Fokus auf die präventive Sanierungsplanung.

1. Die Ausgangslage: Nationale Fragmentierung des Versicherungssektors birgt Risiken

Bislang unterliegen (Rück-)Versicherungsunternehmen in der EU – wenn überhaupt – national sehr heterogen ausgeprägten Regeln und Praktiken zur Sanierungs- und Abwicklungsplanung.  Im Krisenfall könnte das, insbesondere bei grenzüberschreitenden Aktivitäten, zu erheblichen Problemen führen. Die möglichen Folgen reichen von rechtlichen Unsicherheiten über ein eingeschränktes Maßnahmenpotenzial bis hin zu ungleicher Behandlung der Versicherungsnehmer:innen. In Krisensituationen könnten diese Unterschiede eine geordnete Abwicklung eines (Rück-)Versicherungsunternehmens erschweren, wenn nicht sogar verhindern und somit die Finanzstabilität beziehungsweise das Marktvertrauen in die Versicherungsbranche nachhaltig gefährden.

Die IRRD setzt hier an und schafft europaweit einheitliche Werkzeuge und Mechanismen, um solchen Risiken besser zu begegnen. Das Ziel ist es, Liquidationen zu vermeiden, wenn andere Maßnahmen zielführender sind, und gleichzeitig klare Rahmenbedingungen für eine effektive Sanierung und Abwicklung zu schaffen.

2. Was bedeutet die Verabschiedung der IRRD für (Rück-)Versicherer?

Die zentralen Anforderungen an (Rück-)Versicherungsunternehmen im Anwendungsbereich der IRRD umfassen dabei:

Erstellung präventiver Sanierungspläne

(Rück-)Versicherungsunternehmen, die aufgrund ihrer Größe, Vernetzung oder Systemrelevanz von der nationalen Aufsichtsbehörde als relevant für die Sanierungsplanung eingestuft werden, haben künftig präventive Sanierungspläne zu entwickeln. Ziel ist es, mindestens 60 % (berechnet anhand von „gross technical provisions“ in der Lebensversicherung und „gross written premium“ in der Schadenversicherung, gegebenenfalls zusätzlich die Höhe des Gesamtvermögens) des relevanten Versicherungsmarktes eines Mitgliedstaates abzudecken. Diese Pläne sollen zeigen, wie das Unternehmen selbst und in welchem Umfang seine finanzielle Solidität wiederherstellen kann. Dies erfordert eine detaillierte Analyse der Unternehmensstruktur, einer eigenen Einschätzung etwaiger kritischer Funktionen sowie dem Aufstellen eines umfangreichen Abhilfemaßnahmenkataloges. Dafür werden insbesondere unternehmensspezifische Sanierungsindikatoren, Krisenszenarien sowie Kommunikationsstrategien definiert. Unter Berücksichtigung des „Consultation Paper on the proposal for RTSs on the content of (group) pre-emptive recovery plans” ergeben sich daher folgende Inhaltspunkte:

  1. Zusammenfassung der Schlüsselelemente: Darstellung der wesentlichen Ergebnisse des Sanierungsplans sowie der Änderungs- und Freigabehistorie.
  2. Strategische Analyse: Zusammenfassende Darstellung der Eigentümer-, Gruppen- und Organisationsstruktur, Liste der wichtigsten Rechtsordnungen, Kerngeschäftsfelder, rechtliche sowie finanzielle Strukturen, kritische Funktionen (der (Rück-) Versicherungsunternehmen der Gruppe), interne und externe Vernetzungsstrukturen, gruppeninterne finanzielle Risikopositionen, Rückversicherungs- und sonstige Risikotransfervereinbarungen innerhalb der Gruppe, Beschreibung von bedeutenden Dienstleistungen.
  3. Indikatoren: Definition von quantitativen und qualitativen Indikatoren konsistent zur Unternehmensstrategie und Geschäftsmodell, mit Frühwarn- und Schwellenwerten, die auf die Notwendigkeit einer Einleitung eines Eskalationsprozesses hinweisen, Begründung für die Wahl der Indikatoren und der Schwellenwerte.
  4. Governance: Erstellung, Aktualisierung und Genehmigung des Sanierungsplans und organisatorische Rahmenbedingungen, Beschreibung, wie der Plan in den gesamthaften Risikomanagementrahmen integriert ist, sowie detaillierte Prozessbeschreibungen.
  5. Spektrum von Abhilfemaßnahmen: Eine Bandbreite von Handlungsoptionen zur Bewältigung schwerer wirtschaftlicher und finanzieller Stressszenarien, eine Beschreibung der Glaubwürdigkeit und der Auswirkungen jeder Abhilfemaßnahme, sowie eine Bewertung der Durchführbarkeit und möglicher Hindernisse.
  6. Kommunikationsstrategie: Interne und externe Kommunikationspläne für Krisensituationen.
  7. Frühere Verstöße gegen die Solvenzkapitalanforderung: Vorhandener Sanierungsplan innerhalb der letzten 10 Jahre sowie eine Bewertung der ergriffenen Maßnahmen.

Abwicklungsplanung und Beurteilung der Abwicklungsfähigkeit

Während die Sanierungsplanung darauf abzielt, Krisen präventiv zu vermeiden, indem die Sanierungskapazität der einzelnen (Rück-)Versicherungsunternehmen gestärkt wird, konzentriert sich die Abwicklungsplanung auf den Fall, dass eine Sanierung nicht mehr ausreicht und eine geordnete Liquidation beziehungsweise Abwicklung notwendig werden könnte. Eine Abwicklungsplanung ist verpflichtend, wenn für eine Abwicklungsmaßnahme öffentliches Interesse besteht, oder eine kritische Funktion vorliegt.

Kritische Funktionen sind Tätigkeiten oder Dienstleistungen, die von einem
(Rück-)Versicherungsunternehmen für Dritte erbracht werden. Diese können nicht innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens oder zu vertretbaren Kosten ersetzt werden und ihr Ausfall hätte schwerwiegende Auswirkungen auf das Finanzsystem oder die Realwirtschaft.

Ziel ist es, mindestens 40 % (berechnet anhand von „gross technical provisions“ in der Lebensversicherung und „gross written premium“ in der Schadenversicherung) des relevanten Lebens- und Nichtlebensversicherungsmarktes eines Mitgliedstaates künftig in die Abwicklungsplanung einzubeziehen. Die IRRD sieht vor, dass Abwicklungspläne von den Abwicklungsbehörden erstellt werden und diese die Durchführung von Maßnahmen verantworten. Den (Rück-)Versicherungsunternehmen obliegen jedoch auch in der Abwicklungsplanung umfassende und weitreichende Mitwirkungspflichten, wie zum Beispiel die regelmäßige Bereitstellung von relevanten Datengrundlagen.

Im Abwicklungsplan wird nicht nur die finanzielle und strukturelle Situation bewertet, sondern auch die operative Machbarkeit einer Abwicklung analysiert, um letztlich geeignete Abwicklungsstrategien mit den dazugehörigen Abwicklungsinstrumenten festzulegen. Dazu gehört auch, dass IT-Infrastrukturen und Datenverfügbarkeiten als potenzielle Hindernisse geprüft werden müssen.

Die IRRD sieht die folgenden fünf Abwicklungsinstrumente für (Rück-)Versicherungsunternehmen vor: 

  1. Geordnetes Abwicklungsmanagement („Solvent Run-Off“): Ein geordneter Run-off bestehender Polizzen, ohne neues Geschäft zu zeichnen, das bedeutet Fortführung bestehender Versicherungsverträge bis zu ihrem Ablauf.
  2. Unternehmensveräußerung („Sale-of-Business“): Übertragung von Vermögenswerten, Verbindlichkeiten oder ganzen Unternehmensteilen an Dritte.
  3. Einrichtung eines Brückenunternehmens („Bridge Undertaking“): Übertragung von Eigentumsrechten in Form eines Share Deals auf eine öffentliche Übergangseinrichtung.
  4. Ausgliederung von Vermögenswerten und Verbindlichkeiten („Asset and Liability Separation“): Übertragung von Vermögenswerten in Form eines Asset Deals auf eine öffentliche Übergangseinrichtung.
  1. Herabschreibung und Umwandlung (der sogenannte „Bail-in“): Eigenkapital oder berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten werden abgeschrieben oder in Eigenkapital umgewandelt, um die Solvenz des (Rück-)Versicherungsunternehmens wiederherzustellen beziehungsweise weiter zu stärken.

Ein wesentlicher Bestandteil der Abwicklungsplanung ist zudem die regelmäßige Überwachung der Abwicklungsfähigkeit der (Rück-)Versicherungsunternehmen. Hierbei analysieren die jeweiligen nationalen Abwicklungsbehörden, ob es mögliche Abwicklungshindernisse gibt, die eine geordnete Abwicklung erschweren beziehungsweise verhindern könnten. Dies können beispielsweise Mängel in der Operationalisierung der Abwicklungsstrategie, ungeeignete IT-Infrastrukturen oder unzureichende Finanzmittel sein.

Beseitigung von (potenziellen) Abwicklungshindernissen

(Rück-)Versicherungsunternehmen werden künftig aktiv mit ihrer zuständigen Abwicklungsbehörde zusammenarbeiten müssen, um potenzielle Hindernisse für eine geordnete Abwicklung zu identifizieren und zu beseitigen. Dazu könnten strukturelle Änderungen oder Anpassungen im Geschäftsmodell erforderlich sein, beispielsweise bei der operativen Abspaltung kritischer (Geschäfts-) Funktionen oder der Restrukturierung von Verbindlichkeiten.

3. Was (Rück-)Versicherer jetzt tun müssen – Vorbereitung ist entscheidend

Die IRRD stellt (Rück-)Versicherungsunternehmen vor Herausforderungen, bietet jedoch auch Chancen zur Stärkung der operativen Resilienz sowie des Vertrauens in die Versicherungsbranche allgemein. (Rück-)Versicherungsunternehmen, die frühzeitig mit der Umsetzung beginnen, können nicht nur regulatorische Risiken minimieren, sondern auch von einer verbesserten Wettbewerbsposition profitieren. Eine proaktive Herangehensweise und die enge Zusammenarbeit mit der Aufsichts- beziehungsweise Abwicklungsbehörde im Rahmen der EIOPA Konsultationen sind hierbei ebenfalls entscheidend. Stellungnahmen sind noch bis zum
31. Juli 2025 möglich. Die (Rück-)Versicherungsunternehmen sollten daher frühzeitig:

  • Die Notwendigkeit der künftigen Anwendungsverpflichtung einschätzen.
  • Bestehende Prozesse und Strukturen im Vergleich zu den neuen regulatorischen Anforderungen der IRRD analysieren und auf Anpassungsbedarf hin überprüfen.
  • Ressourcen für die Erstellung und Pflege von präventiven Sanierungsplänen sowie die Unterstützung der Abwicklungsbehörden planen und künftig bereitstellen.

Die IRRD kann von (Rück-)Versicherungsunternehmen als Chance begriffen werden, durch frühzeitige Umsetzung regulatorischer Anforderungen ihre Resilienz zu stärken und ihre Wettbewerbsposition zu verbessern.