50 Jahre AVÖ: 1971 bis 2021

Die Aktuarvereinigung Österreichs AVÖ feiert im Jahr 2021 ihr 50-jähriges Bestandsjubiläum. Die Wurzeln der Vereinigung reichen allerdings viel weiter zurück in die Vergangenheit. Die AVÖ sieht sich als Nachfolgerin der österreichisch-ungarischen Aktuarvereinigung im k.k.-Kaiserreich.

Sowohl die Gründung dieser Vorgänger-Vereinigung als auch ihre Tätigkeit waren eng verbunden mit der Einführung der akademischen Ausbildung zum Versicherungsmathematiker in dieser Zeit. Auf die Notwendigkeit einer fachlich spezifischen Ausbildung wurde bereits 1860 erstmalig hingewiesen. In diesem Jahr formulierte das Versicherungsregulativ – entspricht etwa der Versicherungsaufsicht – gesetzliche Vorschriften für die Geschäftsführung von Lebensversicherungsunternehmen.

1854 gab es im Lehrplan des k.k. Polytechnischen Instituts, später dann Technische Universität Wien, bereits eine Ausbildung in politischer Arithmetik. Die erste Vorlesung über Versicherungswesen wurde im Studienjahr 1871/72 gehalten. 1892 kam es dann zur Einrichtung eigener Kurse für Versicherungswesen und zur Schaffung einer Lehrkanzel für Versicherungsmathematik. Maßgeblich beteiligt nicht nur an der Entwicklung dieses Studiums, sondern auch am Entstehen eines entsprechenden Gesetzeswerkes war der Lehrkörper der Technischen Hochschule und hier besonders Prof. Emanuel Czuber. Czuber, ein international anerkannter Fachmann, war auch Obmann des Vereins der Versicherungstechniker und in weiterer Folge Präsident des Verbands der österreichisch-ungarischen Versicherungstechniker. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang die 1895 erlassene Verordnung über die “Autorisierung von Versicherungstechnikern“, die neben der Ablegung der vorgeschriebenen Prüfungen auch einen Nachweis über praktische Betätigung im Versicherungsfach verlangt.

Ein Höhepunkt der Tätigkeit unserer Vorgängervereinigung und ein Zeichen sowohl für den Stand der wissenschaftlichen Entwicklung in Österreich als auch deren internationale Anerkennung war die Abhaltung des 6. internationalen Kongresses für Versicherungswirtschaft im Jahr 1909 in Wien. Bestand und Tätigkeit unserer Vorgängervereinigung endeten mit dem Verlust der Eigenstaatlichkeit Österreichs im Jahre 1938.

Kurs für Versicherungsmathematik

Der Kurs für Versicherungsmathematik wurde bereits 1945 an der Technischen Hochschule Wien provisorisch wiedereingerichtet. Allerdings gab es zu diesem Zeitpunkt noch keine fachliche Vereinigung. In Österreich tätige Versicherungsmathematiker konnten persönliche Mitglieder der internationalen Aktuarvereinigung werden. Die Verbindung zu dieser Vereinigung wurde durch Ministerialrat Dr. Wagner und später durch seinen Nachfolger in der Versicherungsaufsicht, Ministerialrat Dr. Hermann Radek, aufrechterhalten. Sie nahmen als Mitglieder des Direktionsrates der internationalen Aktuarvereinigung an den Sitzungen teil.

Die Versicherungswirtschaft war in den Jahren nach Kriegsende in enger Zusammenarbeit von Aufsichtsbehörde und Versicherungsmathematikern der Unternehmungen vornehmlich mit der Lösung aller jener Probleme beschäftigt, die sich für die langfristigen Verpflichtungen der Lebensversicherung aus dem Währungsverfall ergaben.

Neugründung 1971

Erst 1971 erfolgte eine Neugründung unserer heutigen Aktuarvereinigung Österreichs. Dies ist vor allem der Initiative des ersten Präsidenten – damals noch geschäftsführender Obmann – Dr. Heimo Nabl zu verdanken. Gemeinsam mit Dr. Ernst Kompast, Dr. Rudolf Gruber, Dr. Elisabeth Wascher, Anny Hoschek, Christoph Mondel, Dr. Hermann Radek und Josef Breitenberger, allesamt Mathematiker aus der Versicherungsbranche und der Versicherungsaufsicht, wurden Statuten und Geschäftsordnung geschaffen, um die Gründung bei der Vereinsbehörde anzuzeigen.

Die Gründung der, wie sie sich damals nannte, “Aktuarvereinigung des Verbandes der Versicherungsunternehmungen Österreichs” erfolgte im Einvernehmen und mit Unterstützung des Verbands der Versicherungsunternehmungen. In den Gründungsstatuten war der jeweilige Präsident des Versicherungs-verbands Obmann der neuen Vereinigung. Die Genehmigung durch die Vereinsbehörde erfolgte am 25. Februar 1971.

Zweck des Vereins

Bereits damals legte der Verein seine Schwerpunkte auf vier Bereiche:

  1. Förderung der wissenschaftlichen Arbeit auf dem Gebiet der Versicherungsmathematik
  2. Berufliche Förderung von Versicherungsmathematikern
  3. Zusammenarbeit mit Hochschulen und internationalen Gesellschaften gleichartiger Bestrebungen
  4. Gesellige Veranstaltungen zur Förderung des Kontakts zwischen den Aktuaren

Das Hauptaugenmerk des Vereins war auf die Personenversicherung (Leben, Kranken, Unfall) gerichtet. Die Durchdringung der Sach-/Schadenversicherung mit mathematischen Modellen war zu diesem Zeitpunkt noch nicht gegeben. Dies hat sich bis heute jedoch stark verändert, getrieben durch die Liberalisierung des Marktes mit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union. Die Umsetzung der Regeln des Solvency-II-Regimes hat diese Entwicklung sodann nochmals verstärkt.

Eine erste Definition des “Versicherungsmathematischen Sachverständigen (= Aktuars)” wurde im Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) vom 18. Oktober 1978 eingebracht. Dieses Gesetz verpflichtete den Aktuar auch für die Erstellung der technischen Teile des Geschäftsplans und zur Überwachung deren Einhaltung. Diese Aufgabenstellung wurde von den Aktuaren de facto natürlich bereits vorher wahrgenommen, neu war nunmehr die gesetzliche Verpflichtung.

Kurzstudium an der Technischen Hochschule

Zum Zeitpunkt der Neugründung der Aktuarvereinigung im Jahre 1971 erfolgte die Ausbildung zum Versicherungsmathematiker in Form eines sechssemestrigen Kurzstudiums an der Technischen Hochschule (heute Technische Universität) Wien. Die Weiterbildung konnte nur im Rahmen von Seminaren im In- oder Ausland vorgenommen werden. Mittlerweile wurde an der Technischen Universität Wien ein Vollstudium für eine profunde und moderne Ausbildung eingerichtet, die an die Erfordernisse der Versicherungsbranche laufend angepasst wird.

In der Überzeugung, dass eine berufsbegleitende Weiterbildung unverzichtbar ist, hat die Aktuarvereinigung Österreichs (AVÖ), wie der Verein seit den frühen 1980 Jahren heißt, Mindeststandards festgesetzt. Für Anerkannte Aktuarinnen und Aktuare wurde in der Generalversammlung vom 4. Juni 2009 eine obligatorische Weiterbildung (Continuing Professional Development, CPD) beschlossen. Aktuelle Aufgabenstellungen führten zur Ausbildung des Aktuars zum Certified Enterprise Risk Actuary (CERA) und zum Data Scientist, um große Datenmengen (Big Data) zur Erfüllung seiner Aufgaben als Aktuar professionell nutzen zu können.

Internationale Beziehungen bestehen im Wesentlichen zu der im Jahr 1985 gegründete International Actuarial Association (IAA) und zur Group Consultatif, gegründet 1978, mittlerweile in Actuarial Association of Europe (AAE) umbenannt. Zusätzlich gibt es starke bilaterale Beziehungen mit den Aktuarvereinigungen Deutschlands, der Niederlande und der Schweiz, die im sogenannten Vier-Ländertreffen weiterlebt. Diese bilden einen starken Gegenpol zu Ländern des anglo-amerikanischen Raumes (Großbritannien, USA, nordeuropäische Länder), die eine wesentlich liberalere Haltung einnehmen.

Leitbild der Aktuarvereinigung Österreichs

Die Aktuarvereinigung Österreichs (AVÖ) ist heute eine starke berufsständische Vereinigung der Versicherungsmathematiker Österreichs. Das Leitbild spiegelt dies in besonderer Weise wider:

Aktuare sind versicherungs- und finanzmathematische Sachverständige, die überwiegend im Versicherungs-, Pensions- und Finanzwesen tätig sind. Sie sind Experten in der Anwendung mathematisch-statistischer Methoden unter Berücksichtigung der rechtlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen. Sie beschäftigen sich unter anderem mit der Gestaltung und Kalkulation von Produkten, der Bewertung zukünftiger Leistungsverpflichtungen sowie der finanziellen Risikoeinschätzung und -steuerung. Ihre fachlich unabhängige Expertise setzen sie dabei in Unternehmen, öffentlichen Einrichtungen oder als Selbstständige zum Nutzen der Kunden, der Unternehmen sowie von Aufsichtszwecken ein. Ziel ist dabei, die dauerhafte Erfüllbarkeit von Leistungszusagen und die finanzielle Stabilität ihrer Anbieter zu gewährleisten – dies stellt eine Aufgabe von hoher gesellschaftlicher Relevanz dar.

Autor: DI Josef Thiemer, AVÖ-Beirat

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