Nun ist es endlich so weit: Die Implementierung von IFRS 17 biegt auf die Zielgerade ein. Als der finale Standard IFRS 17 nach einer beachtlichen Entwicklungszeit von ungefähr 20 Jahren im Mai 2017 veröffentlicht wurde, war ursprünglich eine Erstanwendung für das Geschäftsjahr 2021 vorgesehen. Es war relativ schnell klar, dass dies nicht genügend Zeit für die Implementierung sein würde, weshalb dieser Erstanwendungszeitpunkt auf 2023 verlegt wurde. Und trotz dieser Verschiebung ist es aktuell nicht so, dass die Projekte in ruhigem Fahrwasser sind. Im Gegenteil: Wir sehen wohl eher zwei stürmischen Jahren entgegen.
In allen Unternehmen wird derzeit insbesondere die technische Inbetriebnahme fieberhaft getestet. Der IFRS 17 hat so gut wie alle Datenstrecken von den Kernsystemen bis ins Hauptbuch betroffen und diese galt es, neu zu gestalten. Dass am Ende des Tages trotzdem die gleichen Basisgrößen ankommen müssen, sagt uns der Hausverstand, kann aber in der Praxis nur durch viel Arbeit sichergestellt werden. Die für einen vollständig durchlaufenden IFRS-17-Prozess erforderliche Datenmenge übersteigt alles bisher Dagewesene schlicht um ein Vielfaches. Tatsächliche Zahlungsströme und Vorschreibungen (sogenannte “Actuals”) müssen wegen der Gruppenbildung granularer vorgehalten werden. Zusätzlich werden Projektionen der erwarteten Zahlungsströme ebenfalls auf Gruppenebene benötigt. Im aktuellen Tun dominiert derzeit somit das Technische.
Inhaltliche Komponenten des IFRS 17 nicht vergessen
Die eine oder andere inhaltliche Komponente darf aber dabei nicht vergessen werden. Waren Diskussionen der Art “Welche Zinskurve ist zu verwenden?” oder “Wie bestimme ich ein geeignetes Risk Adjustment?” zu Beginn der Projekte vorherrschend, so geraten diese aufgrund der technischen Themen aktuell in den Hintergrund. Gerade durch derlei inhaltliche Festsetzungen wird aber das Bilanz- und GuV-Bild der kommenden Jahre bestimmt. Insbesondere die Frage der Contractual Service Margin (CSM) zur Erstellung der Eröffnungsbilanz per 1. Jänner 2022 ist jedenfalls eine Wesentliche. Dass im langfristigen Lebens- und Krankengeschäft eine weit zurückreichende, vollständig retrospektive Anwendung unrealistisch sein würde, war einerseits schnell klar, andererseits ist es noch nicht so klar, ob die Versicherungsunternehmen sich mehr dem modifiziert retrospektiven oder dem Fair-Value-Ansatz zuwenden; wobei ersterer zweifelsohne der Grundidee der CSM im IFRS 17 mehr entspricht.
Entscheidend wird hier aber ohnehin eine durchdachte Kommunikationsstrategie gegenüber den eigentlichen AdressatInnen des IFRS-Abschlusses sein. Die Bedeutung dieser und anderer inhaltlicher Fragestellungen wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf den letzten Metern abermals intensiv diskutiert werden, sobald man Sicherheit hinsichtlich der Funktionsfähigkeit der technischen Prozesse erlangt hat. Auch wenn man sich nun auf der Zielgeraden wähnt, den “Quasi-Marathon” zu Ende laufen bleibt niemandem erspart.
Dr. Johann Kronthaler ist Partner bei KPMG Austria und Mitglied der Sektion Anerkannter Aktuare der AVÖ.