Tägliche Archive: 14/12/2021

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Vorsitzender der Alterssicherungskommission Pöltner im AMC

Der Name ist Programm, die Alterssicherungskommission hat die Aufgabe, der Bundesregierung Berichte über die langfristige Entwicklung und Finanzierung der Pensionen und damit der Alterssicherungssysteme vorzulegen. Ausführlich sind die Aufgaben der Alterssicherungskommission, kurz ASK, im Alterssicherungskommissions-Gesetz dargestellt. Das Bundesgesetz liegt in der fünften Auflage seit Inkrafttreten des am 01.01.2017 vor. Der Vorgänger der ASK hieß Pensionssicherungskommission.

Konkret liefert die ASK bis spätestens 30. November eines jeden Jahres Mittelfristgutachten für die folgenden fünf Jahre. Das aktuelle Gutachten läuft demnach bis 2026. Der zweite Teil, das Langfristgutachten, muss ebenfalls bis zum 30. November vorliegen, und zwar jedes dritte Jahr bis zum Jahr 2050. Die Verpflichtung zur Vorlage des Langfristgutachten wurde aufgrund der Corona-Pandemie verschoben und liegt nun erstmalig vor.

Hon.-Prof. Dr. Walter Pöltner war von 22. Mai bis 3. Juni 2019 (also gleich nach Ibiza) Sozialminister und ist seit 7. November 2019 Vorsitzender der ASK. Der Jurist hielt am 7. Dezember im Actuarial Modelling Club einen launigen Online-Vortrag. Auf Wikipedia ist zu lesen, “Berichte über seine Person erwähnen in der Regel seine musikalischen Interessen”. Bei Pöltners Vortrag aus seinem Arbeitszimmer hing die Gitarre gleich hinter ihm. Soweit lässt sich dieser Eintrag oberflächlich bestätigen.

Der Actuarial Modelling Club (AMC) ist eine Kooperationsveranstaltung der Forschungsgruppe für Finanz- und Versicherungsmathematik (FAM) der TU Wien und der AVÖ. Pöltners Vortrag stieß auf reges Interesse. Knapp 160 Teilnehmerinnen und Teilnehmer folgten seinen Ausführungen.

Gesamthaftes Monitoring auf Österreichisch

Zurück zur Alterssicherungskommission und zu deren Berichten. Die Kommission unter Pöltners Vorsitz ist mit 14 stimmberechtigten Mitgliedern und sechs nicht-stimmberechtigten ExpertInnen besetzt. Sie soll ein Monitoring der Pensionen der Pflichtversicherten, der Landes- und BundesbeamtInnen und der ÖBB-Bediensteten ermöglichen. Die Idee ist eine gemeinsame Betrachtung, die Wirklichkeit sieht getrennte Berichte für Pflichtversicherte und BeamtInnen vor. Konkret gibt es also vier Berichte. Alle vier sind auf der Website des Sozialministeriums abrufbar. “Die Gutachten, die durch die Kommission beschlossen werden, basieren auf den demografischen Daten der Statistik Austria und den ökonomischen von WIFO und IHS”, erklärt Pöltner.

Dass die ExpertInnen nicht stimmberechtigt sind, bedauert Pöltner, meint aber gleichzeitig: “Die Expertinnen und Experten werden sich hüten, Annahmen, beispielsweise zur Entwicklung der Erwerbsquoten, zu treffen.” Der Jurist und Spitzenbeamte beschreibt die jährlich stattfindenden Sitzungen der Kommission als “ewig gleiches Argumentieren der großen Fraktionen”, wobei Vorsicht das oberste Gebot sei. Weil hinter jeder Annahme die Angst vor der Vorbereitung auf eine neue Pensionsreform und infolge auf Pensionskürzungen stehe.

Kennzahlen und die Suche nach Kompromissen

Und dann erzählt Pöltner, wie er im Vorfeld der Sitzung gemeinsam mit seiner Stellvertreterin Ingrid Korosec versucht, bei den Interessensvertretungen einen Kompromiss der Produktivitätszuwächse herbeizuführen. “Ich schlage nicht 1,0 Prozent, nicht 1,5 Prozent, sondern 1,3 Prozent vor, wie bei einem Kuhhandel, ohne wissenschaftliche Grundlage”, so Pöltner.

Dazu sei erwähnt, dass es Usus ist, dass die Mitgliedsstaaten bessere Annahmen treffen als etwa der Ageing-Bericht der EU-Kommission, der in der Regel pessimistischer ausfällt. Ganz so willkürlich wird diese Kennzahl des Fachmanns für Soziales wohl dann doch nicht sein, schließt die AVÖ-Online-Redaktion.

Das ernüchternde Ergebnis dieser langwierigen Abstimmungsprozesse: Der ÖGB lehnte das Langfristgutachten schlussendlich ab. In einer Aussendung titelten AK und ÖGB AK & ÖGB zu Alterssicherungskommission: Soll Gutachten Grundlage für Pensionskürzungen liefern? Mag. Wolfgang Panhölzl, Leiter der AK-Abteilung Sozialversicherung moniert darin, “die Wirtschaftsannahmen sind unplausibel niedrig und führen zu einer erhöhten Darstellung des Pensionsaufwandes”. Die jetzt adaptierten Änderungen würden sich nicht mit anderen Prognosen, etwa dem Ageing Report der EU-Kommission, decken, ergänzt ÖGB-Pensionsexpertin Mag. Dinah Djalinous-Glatz. Beide sind Mitglieder der ASK. “Daher haben wir auch das vorliegende Langfristgutachten über die gesetzliche Pensionsversicherung abgelehnt”, begründet Djalinous-Glatz.

Dr. Franz Schellhorn, Leiter des Thinktanks Agenda Austria, sieht das freilich anders: “Seit längerem ist klar, dass das öffentliche Pensionssystem nicht gut aufgestellt ist”, schreibt er in einer Aussendung als Reaktion auf einen Bericht in der Wiener Zeitung am 17. November 2021, also noch vor der Sitzung der ASK. Das Verhältnis von PensionsbezieherInnen zu den EinzahlerInnen gerate immer stärker in Schieflage. Ohne Reform werde das Pensionsloch bis 2030 deutlich wachsen. Schellhorn: “Bereits heuer wird mehr als jeder fünfte Euro aus dem Bundesbudget zum Stopfen des Pensionslochs verwendet.”

Pöltner berichtet im AMC, dass wir 2020 15,6 Prozent des BIP für Pensionen ausgegeben haben. Die Prognose für 2070 liegt mit 15,4 Prozent sogar etwas darunter. “Daher argumentieren wir, dass wir in der Alterssicherung kein Problem haben. Ich sehe hingegen eine Menge Probleme. Es gibt aber Null sozialpolitischen Gestaltungswillen. Ministerien sind auf schlichte Verwaltung reduziert. Keiner traut sich etwas sagen, dann wird man in fünf Jahren wiederbestellt”, resümiert der ASK-Vorsitzende.

“Eh ois leiwand”

Und so bleibt in Österreich wenig Spielraum für Diskussionen und innovative Denkansätze, die die Veränderungen in der Arbeitswelt, etwa höhere Lebenserwartung, Digitalisierung und flexiblere Beschäftigungsmodelle, berücksichtigen. Pöltner nennt in diesem Zusammenhang den Work-Ability-Index (WAI) des finnischen Professors Juhani Ilmarinen, ein Befragungsverfahren, das die subjektive Arbeitsfähigkeit von Beschäftigten erfasst und bewertet. Über einen Online-Fragenbogen auf der Website des WAI-Netzwerks können Interessierte eine Einschätzung ihrer aktuellen und zukünftigen Arbeitsfähigkeit abrufen.

“Nichts davon wurde in den letzten fünf bis sechs Jahren besprochen – das ist nicht interessant genug, da bekommen Sie keine Message in der Zeitung”, sagt Pöltner. Also “eh ois leiwand”, scherzt er. Es sei ihm auch völlig unklar, warum keine VersicherungsmathematikerInnen in der Kommission säßen, die sich mit diesem Thema am besten auskennen. Auch waren diese Fachleute in der alten Pensionsversicherungskommission vertreten.

Ob aus persönlicher Konsequenz ob dieses Stillstands oder aus anderen Gründen, Pöltner tritt als Vorsitzender zurück, eine Nachfolgerin bzw. ein Nachfolger ist noch nicht bestimmt. NEOS-Sozialsprecher Gerald Loacker kommentiert den Rücktritt in einer Aussendung so: “Jetzt tritt mit Walter Pöltner ein kluger Kopf aus Frust zurück, weil die Kurz-Regierung so viel Geld verbläst, dass es selbst ihm als ehrlichen Sozialdemokraten zu viel wird.” Stein des Anstoßes sei die (sozial) gestaffelte Pensionserhöhung, die mit 1. Jänner 2022 in Kraft tritt, und die wohl weitere Löcher in den Staatshaushalt reißen wird. Gegenüber der AVÖ-Online-Redaktion begründet der ASK-Vorsitzende seinen Schritt so: “Wenn eine Regierung zur Stabilität der Alterssicherung eine Task Force einrichtet. Wenn ich mich redlich bemühe, Probleme, Wechselwirkung und Systemzusammenhänge darzulegen. Wenn niemand auch nur in Ansätzen daran Interesse, schon gar nicht politischen Gestaltungswillen erkennen lässt, dann betrachte ich mich als gescheitert. Wir schaffen derzeit politisch nicht einmal die Gegenwart, wen interessiert da Zukunft. Die Zukunft ist aber die Gegenwart unserer Kinder, dafür haben wir Verantwortung!”

Pöltner sieht aufgrund der demografischen Entwicklung – wir werden älter – drei große Herausforderungen: Gesundheit, Pflege und Pensionen. Es fehle dafür nicht nur das Geld, es fehlten auch die Fachkräfte. “Wir verschließen die Augen und glauben, damit das Problem gelöst zu haben”, sagt Pöltner zur AVÖ-Redaktion. “Unser Sozialsystem stammt weitgehend aus dem 19. und dem frühen 20. Jahrhundert. Kann dieses System den Anforderungen einer modernen Gesellschaft im 21. Jahrhundert noch gerecht werden?” Wohl eher nicht. “Da gibt es viel zu tun!”, gibt uns der Experte mit auf den Weg.

Der Arbeitskreis Veröffentlichungen stellt sich vor

Der Arbeitskreis Veröffentlichungen war bis Ende 2020 auf jeweils eine einzelne Person und die Aufgabe, den Kontakt zur European Actuarial Journal (EAJ) Association zu pflegen, eingeschränkt. Nachdem die Bedeutung der Kommunikation innerhalb der Mitglieder der AVÖ und ebenso nach außen – an eine breitere Öffentlichkeit – erheblich an Bedeutung gewonnen hat, wurden die Aufgaben und die Zusammensetzung des Arbeitskreises Anfang 2021 neu definiert.

So hat sich unter der Arbeitskreisleitung von René Knapp ein kleines, aber schlagkräftiges Team bestehend aus Ulrike Ebner, Rita Michlits, Philip Plank und Felix Radlinger geformt. Im ersten Quartal 2021 definierte der Arbeitskreis in einer ersten konstituierenden Sitzung die Zielsetzung und deren Priorität definiert. Insbesondere widmet sich der Arbeitskreis den folgenden 4 Schwerpunkten:

  1. Stärkung des Berufsbildes der Aktuarinnen und Aktuare (Ausbildung, Beitritt zur AVÖ)
  2. Unterstützung anderer Arbeitskreise sowie des Vorstands bei der Öffentlichkeitsarbeit
  3. Stärkung der Services für unsere Mitglieder
  4. Aktives Zugehen auf Mitglieder, um sie zur Mitarbeit in der Öffentlichkeitsarbeit einzuladen
MS-Teams-Meeting der Mitglieder des Arbeitskreises Veröffentlichungen
Virtuelle Sitzung: v.l.n.r. AK-Leiter René Knapp (Uniqa, AVÖ-Schriftführer), Philip Plank (Uniqa), Ulrike Ebner (Wiener Städtische), Felix Radlinger (Mercer), Rita Michlits (AVÖ)

Die zentralen Kommunikationskanäle bilden die AVÖ-Webseite, der AVÖ-Newsletter, LinkedIn sowie vor allem auch die in den vergangenen Jahren intensivierten Events. Die ersten Aktivitäten, welche durch den Arbeitskreis begleitet wurden, waren die Mitgliederbefragung 2021 sowie die Unterstützung der ersten Data Science Challenge.

ToDo: Berufsbild breiter kommunizieren

Der aktuelle Fokus liegt auf der Stärkung des Berufsbilds der Aktuarinnen und Aktuare. Wir sind der Überzeugung, dass die Ausbildung zur Aktuarin/zum Aktuar, weiterführende Spezialisierungen sowie die Mitwirkung in der AVÖ einen wesentlichen Mehrwert für den (österreichischen) Arbeitsmarkt darstellt. Aktuarinnen und Aktuare können in unterschiedlichsten Branchen und Funktionen aufgrund ihrer bereits erworbenen Fähigkeiten eingesetzt werden. Wir sind auch der Meinung, dass diese Fähigkeiten in Zukunft noch stärker nachgefragt und benötigt werden – wir denken dabei an brandaktuelle Themen wie Risikobewertung bei Pandemien oder Klimawandel. Oftmals mangelt es daran, dass die Ausbildungsmöglichkeiten nicht bekannt genug sind. Auch sind kaum praktische Einblicke gegeben, welche Berufsbilder Finanz- und Versicherungsmathematik abdecken können. An dieser Stelle aufklärend und für die AVÖ werbend zu agieren, hat der Arbeitskreis ganz oben auf die Agenda für 2021 und 2022 geschrieben.

Zu diesem Zweck versuchen wir aktuell, Kooperationen mit Universtäten aufzubauen oder zu stärken (Zielgruppe Studierende). So haben wir im Wintersemester 2021 einen Informationsflyer kreiert und über die Fachschaft der TU Wien an die Erstsemestrigen ausgeteilt. Philip Plank hat darüber hinaus mit der Hochschülerinnen- und Hochschülerschaft der TU Wien einen Podcast erstellt. Am 22. November gab er Einblicke, was Absolventinnen und Absolventen mit einem Studium der Mathematik in der Praxis machen können. Der Podcast ist auf htu.at abrufbar.

Junge Frau klettert überhängenden Felsen hoch
Info-Flyer für Erstsemestrige, Foto (c) AdobeStock/Soloviova Liudmyla

Früh ansetzen

Darüber hinaus möchten wir junge Menschen noch früher für die aktuarielle Ausbildung oder Tätigkeit begeistern (z. B. denken wir an eine Kooperation mit der Mathematik-Olympiade mit der Zielgruppe Schülerinnen und Schüler).

Die Investition in Kommunikation über unsere Tätigkeiten in der AVÖ halten wir für eine höchst sinnvolle und gewinnbringende. Wir freuen uns über Zuwachs in unserem Arbeitskreis – Interessierte bitte einfach an rene.knapp@uniqa.at wenden.

Der Solvency-II-Review

Nach der ausführlichen EIOPA-Opinion vor knapp einem Jahr wurde von der Europäischen Kommission schließlich Ende September ein Entwurf für die Änderung der Solvency-II-Rahmenrichtlinie vorgelegt. Darauf aufbauende und für die praktische Vorbereitung und Umsetzung dringend benötigte Änderungen an den Level-2-Texten (Delegierte Verordnung, technische Standards) liegen leider nicht vor, jedoch deutet die Kommission in vielen Anmerkungen auf geplante Details der entsprechenden Änderungen hin.

Die Kommission greift im Vorschlag zur Rahmenrichtlinie einerseits in vielen Punkten die EIOPA-Vorschläge auf, setzt jedoch auch eigene Impulse. Die wichtigsten Änderungsvorschläge betreffen dabei die folgenden Punkte:

  • Extrapolation der risikolosen Zinskurve: Die Smith-Wilson-Methode wird abgelöst, wobei in Zukunft auch Marktdaten jenseits des “First Smoothing Points” berücksichtigt werden. Der Erhöhung der versicherungstechnischen Rückstellungen und des SCR (Solvency Capital Requirement) wird durch einen Phase-In-Mechanismus bis 2032 in Zeiten extremer Niedrigzinsen entgegengewirkt.
  • Zinsschock: Künftig sollen auch negative Teile der Zinskurve entsprechend geschockt werden.
  • Volatilitätsanpassung: Grundlegende Änderung in der Formel, wobei auch unternehmensspezifische Kenngrößen einfließen. Insgesamt ist von einer Entlastung auszugehen. Die Anwendung der Volatilitätsanpassung soll künftig genehmigungspflichtig werden, eine dynamische Volatilitätsanpassung weiterhin auf interne Modelle beschränkt bleiben.
  • Langfristige Aktieninvestments: Diese sollen künftig unter bestimmten Voraussetzungen einem geringeren Schock und damit geringerer Eigenmittelhinterlegung unterliegen.
  • Risikomarge: Der von EIOPA vorgeschlagene Lambda-Zugang wird voraussichtlich übernommen, die größte Änderung ist jedoch die von der Kommission angedeutete Senkung des Kapitalkostensatzes von 6 % auf 5 %. Dies liefert auch in den Auswirkungsstudien der Kommission die größte Entlastung für die Unternehmen.
  • Symmetrische Anpassung: Erhöhung von 10 % auf 17 %, wodurch die Wirksamkeit erhöht und der SCR stabilisiert werden soll.
  • Reporting: Der SFCR (Bericht über Solvabilität und Finanzlage) soll künftig in zwei Teile getrennt werden, wobei einer an Versicherungsnehmer gerichtet ist, der andere vornehmlich an Investoren (“andere Marktteilnehmer”). Die Fristen für RSR (Regular Supervisory Report, regelmäßiger aufsichtlicher Bericht), Solo-SFCR und Gruppen-SFCR wurden jeweils um vier Wochen auf 18 bzw. 24 Wochen verlängert.

Andere vorgeschlagene Änderungen haben in Österreich vermutlich weniger Auswirkungen, wie z. B. die externe Prüfung der Solvenzbilanz, die Erhöhung der Grenzen zur Anwendbarkeit oder die Einführung von “Low-Risk Undertakings” mit Erleichterungen.

Bei vielen der Änderungen ist aufgrund der zahlreichen ausstehenden Details der delegierten Verordnung die genaue Analyse noch schwierig, der Kommissionsvorschlag gibt jedoch einen guten Einblick, in welche Richtung die weitere Ausgestaltung gehen wird.

Schieflage bei Unternehmen ausgespart

Ein Thema, das die Kommission gänzlich ausgespart hat, sind europaweite Regelungen zu Insurance Guarantee Schemes (IGS), obwohl gerade EIOPA dies immer wieder fordert. Zu unterschiedlich sind in diesem Bereich die bestehenden einzelstaatlichen Regelungen.

Andererseits nimmt die Kommission das Thema Sanierung und Abwicklung von Versicherungsinstituten ebenfalls nicht in die Solvency-II-Rahmenrichtlinie auf, sondern legt stattdessen eine eigene Richtlinie – die IRRD (Insurance Recovery and Resolution Directive) – vor. Der vorliegende Entwurf orientiert sich stark an der entsprechenden Banken-Abwicklungsrichtlinie (BRRD) und fordert vor allem von einem Großteil des Marktes, einerseits Sanierungspläne vorzubereiten und andererseits durch die Aufsicht Abwicklungspläne aufzustellen.

Langer Weg bis zur Anwendung

Bis zur tatsächlichen Anwendung der Änderungen an Solvency II dürfte jedoch noch einige Zeit vergehen. In einem ersten Schritt ist nun der sogenannte “Trilog” am Zug, wobei sich die drei europäischen Institutionen (Europäischer Rat, Europäische Kommission und Europäisches Parlament) auf die endgültige Version der Änderungen der Rahmenrichtlinie verständigen. Diese Verhandlungen können durchaus mehrere Monate dauern und sich über mehrere EU-Präsidentschaften erstrecken. Insofern ist wohl mit einem Beschluss der Änderung der Rahmenrichtlinie erst im zweiten Halbjahr 2022 zu rechnen. Ab diesem Zeitpunkt haben dann die Mitgliedsstaaten üblicherweise 18 Monate Zeit, die Änderungen in lokales Recht zu transformieren. Die darauf aufbauenden Änderungen der delegierten Verordnung und der technischen Standards durch die Kommission können formal erst nach dem Beschluss zur Rahmenrichtlinie durchgeführt werden. Es ist jedoch Usus, dass Vorabentwürfe bereits im Vorfeld zirkulieren.

Insofern dürfen wir gespannt auf die Entwicklungen im kommenden Jahr blicken, mit der Anwendbarkeit in der täglichen Solvency-II-Praxis ist jedoch frühestens mit Mitte 2024 zu rechnen.

Dr. Reinhold Kainhofer leitet das aktuarielle Team bei Ernst & Young in Wien.

Neue Herausforderungen für Non-Life-Pricing-AktuarInnen

Das Niedrigzinsumfeld, die steigende Menge an verfügbaren Daten, die Digitalisierung – all das sind Gründe für die immer wichtiger werdende Rolle der Aktuarinnen und Aktuare, nicht zuletzt auch der Non-Life-Pricing-AktuarInnen. Die Tarifierung ist kein Spiel, bei dem der Preis “Pi mal Daumen” geschätzt werden kann. Um sich einen kompetitiven Vorteil in der Branche zu sichern, sind immer ausgeklügeltere und dynamischere Modelle gefragt.

Vor ein paar Jahren noch kam ein Großteil des Versicherungsgewinns aus dem Kapitalanlageergebnis der Prämien. Durch die hohen Renditen konnte das versicherungstechnische Ergebnis der Schaden- und Unfallversicherung nachrangig behandelt werden und eine korrekte Preisgestaltung wurde daher oft vernachlässigt. Durch das bestehende Niedrigzinsumfeld wird die Tarifierung, als wesentlicher Treiber der Profitabilität in der Non-Life-Versicherung, nun immer mehr in den Fokus gerückt. Eine richtige Tarifierungsmethodik gibt es dabei nicht, Pricing-AktuarInnen können aus einer Vielzahl von Algorithmen und Modellen wählen, die je nach Markt und Produkt unterschiedlich gut geeignet sind. Zum Beispiel ist die Komplexität eines KFZ-Tarifs im preissensitiven Polen mit keinem der österreichischen Tarife vergleichbar.

Digitalisierung erleichtert Anbieterwechsel

Auch die Digitalisierung schafft neue Herausforderungen für die Pricing-AktuarInnen. Kundinnen und Kunden können Versicherungsprämien nun ganz einfach auf Online-Plattformen vergleichen und zu billigeren Anbietern wechseln. Der sogenannte Rang der Prämie im direkten Branchenvergleich wird wettbewerbsentscheidend, wobei Produktbesonderheiten nach und nach außer Acht gelassen werden. Die Versicherungsunternehmen sind gezwungen, im Preiskampf zu konkurrieren, was wiederum Druck auf die Tarifierung ausübt.

Durch die gesteigerte Marktdynamik werden die Versicherungsprämien auch oft nicht mehr nur jährlich angepasst, sondern viel häufiger. Die Tarifierung entwickelt sich also von einem jährlichen Projekt zu einem immerwährenden Prozess.

Umgekehrt schafft die Digitalisierung auch einige neue Möglichkeiten für die Tarifierung. Mehr Rechenpower und flexiblere IT-Strukturen erlauben auch komplexere mathematisch-statistische Schätzverfahren für die Tarifmodelle. Zusätzlich können Risiken durch eine regelrechte Explosion von vorhandenen Daten immer besser eingeschätzt und dadurch bepreist werden. Allerdings erfordert die neue Masse an Daten auch neues Spezialwissen, und nicht selten beschäftigen sich AktuarInnen mit Themen wie Rechenzeit, Speicherplatz und effektive Programmierung. Ein wesentlicher Teil der Herausforderung ist also auch, einen schlanken Prozess rund um die Tarifierung aufzubauen.

Transparente Kommunikation trotz steigender Komplexität

Resultierend aus all diesen Trends ergibt sich für Pricing-AktuarInnen oft eine weitere, üblicherweise unterschätzte, neue Aufgabe. Durch die steigende Komplexität der Tarifmodelle wird es immer schwieriger, die aktuariellen Konzepte auch verständlich und transparent zu kommunizieren. Viele Tarifentscheidungen werden nicht immer nur von mathematischen Sachverständigen getroffen, weil die Preissetzung ein Projekt mit vielen verschiedenen Beteiligten ist. Neue Modelle beinhalten üblicherweise auch anspruchsvollere Mathematik, die nicht immer auf Gegenliebe stößt.

Pricing-AktuarInnen wird wohl auch in Zukunft nicht langweilig werden. Um aber auch künftig alle Bereiche der Tarifierung gut abdecken zu können, müssen auch wir uns immerwährend weiterentwickeln und den neuen Gegebenheiten anpassen.

DI Lisa Strasser ist bei UNIQA International im Bereich Pricing & Monitoring tätig und Mitglieder der Sektion Anerkannter Aktuare der AVÖ.

IFRS 17 auf der Zielgeraden

Nun ist es endlich so weit: Die Implementierung von IFRS 17 biegt auf die Zielgerade ein. Als der finale Standard IFRS 17 nach einer beachtlichen Entwicklungszeit von ungefähr 20 Jahren im Mai 2017 veröffentlicht wurde, war ursprünglich eine Erstanwendung für das Geschäftsjahr 2021 vorgesehen. Es war relativ schnell klar, dass dies nicht genügend Zeit für die Implementierung sein würde, weshalb dieser Erstanwendungszeitpunkt auf 2023 verlegt wurde. Und trotz dieser Verschiebung ist es aktuell nicht so, dass die Projekte in ruhigem Fahrwasser sind. Im Gegenteil: Wir sehen wohl eher zwei stürmischen Jahren entgegen.

In allen Unternehmen wird derzeit insbesondere die technische Inbetriebnahme fieberhaft getestet. Der IFRS 17 hat so gut wie alle Datenstrecken von den Kernsystemen bis ins Hauptbuch betroffen und diese galt es, neu zu gestalten. Dass am Ende des Tages trotzdem die gleichen Basisgrößen ankommen müssen, sagt uns der Hausverstand, kann aber in der Praxis nur durch viel Arbeit sichergestellt werden. Die für einen vollständig durchlaufenden IFRS-17-Prozess erforderliche Datenmenge übersteigt alles bisher Dagewesene schlicht um ein Vielfaches. Tatsächliche Zahlungsströme und Vorschreibungen (sogenannte “Actuals”) müssen wegen der Gruppenbildung granularer vorgehalten werden. Zusätzlich werden Projektionen der erwarteten Zahlungsströme ebenfalls auf Gruppenebene benötigt. Im aktuellen Tun dominiert derzeit somit das Technische.

Inhaltliche Komponenten des IFRS 17 nicht vergessen

Die eine oder andere inhaltliche Komponente darf aber dabei nicht vergessen werden. Waren Diskussionen der Art “Welche Zinskurve ist zu verwenden?” oder “Wie bestimme ich ein geeignetes Risk Adjustment?” zu Beginn der Projekte vorherrschend, so geraten diese aufgrund der technischen Themen aktuell in den Hintergrund. Gerade durch derlei inhaltliche Festsetzungen wird aber das Bilanz- und GuV-Bild der kommenden Jahre bestimmt. Insbesondere die Frage der Contractual Service Margin (CSM) zur Erstellung der Eröffnungsbilanz per 1. Jänner 2022 ist jedenfalls eine Wesentliche. Dass im langfristigen Lebens- und Krankengeschäft eine weit zurückreichende, vollständig retrospektive Anwendung unrealistisch sein würde, war einerseits schnell klar, andererseits ist es noch nicht so klar, ob die Versicherungsunternehmen sich mehr dem modifiziert retrospektiven oder dem Fair-Value-Ansatz zuwenden; wobei ersterer zweifelsohne der Grundidee der CSM im IFRS 17 mehr entspricht.

Entscheidend wird hier aber ohnehin eine durchdachte Kommunikationsstrategie gegenüber den eigentlichen AdressatInnen des IFRS-Abschlusses sein. Die Bedeutung dieser und anderer inhaltlicher Fragestellungen wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf den letzten Metern abermals intensiv diskutiert werden, sobald man Sicherheit hinsichtlich der Funktionsfähigkeit der technischen Prozesse erlangt hat. Auch wenn man sich nun auf der Zielgeraden wähnt, den “Quasi-Marathon” zu Ende laufen bleibt niemandem erspart.

Dr. Johann Kronthaler ist Partner bei KPMG Austria und Mitglied der Sektion Anerkannter Aktuare der AVÖ.

Unisex-Prämien in der Lebensversicherung

Eine wesentliche Aufgabe von Aktuarinnen und Aktuaren in der Lebensversicherung ist es, die Prämien oder die Deckungsrückstellung der Tarife zu berechnen. Obwohl es viele gegenteilige statistische Darstellungen gibt, sind seit dem 21. Dezember 2012 geschlechtsspezifische Leistungen und Prämien basierend auf einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur Richtlinie 2004/113/EG verboten. Die Tarife in der Lebensversicherung werden seitdem als Unisex-Tarife bezeichnet. Dies bedeutet, dass Männer und Frauen gleichen Alters dieselbe Prämie für einen bestimmten Versicherungstarif bezahlen, sofern keine sonstigen höheren Individualrisiken festgestellt werden.

Eine ausführliche Einführung in das Thema Prämienkalkulation in der Versicherung (Lebensversicherung, Krankenversicherung und Schaden-/Unfall-Versicherung) bietet beispielsweise die jährlich im Wintersemester an der FH Joanneum in Graz abgehaltene Lehrveranstaltung “Prämienkalkulation in der Versicherung” im Rahmen des Studiums Bank- und Versicherungswirtschaft. An der Technischen Universität Wien gibt es zur Prämienkalkulation in der Lebensversicherung etwa die Lehrveranstaltung “Lebensversicherungsmathematik”.

Begleitend zum Lebensversicherungsteil der o. a. Lehrveranstaltung an der FH Joanneum ist 2021 mein Buch “Unisex-Prämien in der Lebensversicherung” im Verlag Facultas Verlags- und Buchhandels AG erschienen. Das Buch wendet sich an Personen, die sich Grundwissen in dieser Thematik (sowie Vertiefungen in dem einen oder anderen Thema) aneignen wollen und ist sowohl als vorlesungsbegleitende Literatur als auch zum Selbststudium geeignet. Das Buch bietet die Herleitung wesentlicher aktuarieller Grundlagen, wie Netto- und Bruttoprämien, Deckungsrückstellung, Gewinnbeteiligung oder Prämienfreistellungen jeweils mit Beispielen erläutert, sowie einige ausführlichere Übungsbeispiele und deren Lösung.

Dr. Martin Predota, ist Certified Risk Manager und Mitglied der Sektion Anerkannter Aktuar der AVÖ.

IM INTERVIEW: Stefan Reicher

Ich bin Aktuar geworden, weil …

ich mich zwischen meinen beiden Hauptinteressen Wirtschaft und Regie entscheiden musste. Für Regie war mir die österreichische Filmbranche doch zu sehr auf Fernsehproduktionen ausgelegt. Damit entschied ich mich für ein Studium, von dem ich mir einen guten Einstieg ins Wirtschaftsleben versprach. Und dafür war für mich persönlich der „Umweg“ über Finanz- und Versicherungsmathematik attraktiver als die sehr gut besuchten Studienrichtungen BWL und VWL. Der Rest war dann Zufall oder Schicksal, je nachdem, woran man glaubt.

Mich interessieren fachlich …

so ziemlich alle Themen, die in unserer Branche relevant sind. Am liebsten arbeite ich allerdings an Fragestellungen, die viele Disziplinen wie mathematische, rechtliche, vertriebliche oder bilanzielle in sich vereinen.

Mein größter beruflicher Erfolg …

existiert nicht als einzelnes Ereignis. Worauf ich stolz bin, sind vielmehr die unterschiedlichen kleinen Erfolge, die mein Team und ich zusammen erreichen, bei denen wir uns gegenseitig unterstützen und gemeinsam mehr schaffen, als es Einzelne je würden.

Mein Lebensmotto

Ich denke, dass man mit Vernunft, Hausverstand, Menschlichkeit, Neugierde, Engagement, ein wenig Schmäh und einer positiven Einstellung ein sehr gutes Leben führen kann.

Was mich sonst neben dem Beruf interessiert.

In Anbetracht meiner zeitlichen Verfügbarkeit leider viel zu viel! Unterschiedliche Sportarten, Musik, Film, Zeitgeschichte, Kochen und Kulinarik, Reisen, Sprachen, ein Sozialleben wie vor Covid-19 und vor allem meine bezaubernde Familie.

BerufseinsteigerInnen rate ich, …

seid neugierig, engagiert euch, geht den Dingen auf den Grund! Versucht immer, der/die Beste in eurem Job zu sein! Dann wird sich alles weitere von selbst ergeben.

Zur Person

Stefan Reicher (Jahrgang 1983) studierte Finanz- und Versicherungsmathematik an der TU Graz und an der UPR Río Piedras in San Juan, Puerto Rico. Nach Stationen in Spanien und bei der Allianz in Wien kam er 2011 zur UNIQA, wo er unterschiedliche Funktionen in den Bereichen Risikomanagement, Finance, Lebens- und Unfallversicherung bekleidete. Seit 1. Jänner 2021 ist er der verantwortliche Aktuar der Krankenversicherung bei UNIQA.

(c)  Iskra Dimitrova