Der Solvency-II-Review

Nach der ausführlichen EIOPA-Opinion vor knapp einem Jahr wurde von der Europäischen Kommission schließlich Ende September ein Entwurf für die Änderung der Solvency-II-Rahmenrichtlinie vorgelegt. Darauf aufbauende und für die praktische Vorbereitung und Umsetzung dringend benötigte Änderungen an den Level-2-Texten (Delegierte Verordnung, technische Standards) liegen leider nicht vor, jedoch deutet die Kommission in vielen Anmerkungen auf geplante Details der entsprechenden Änderungen hin.

Die Kommission greift im Vorschlag zur Rahmenrichtlinie einerseits in vielen Punkten die EIOPA-Vorschläge auf, setzt jedoch auch eigene Impulse. Die wichtigsten Änderungsvorschläge betreffen dabei die folgenden Punkte:

  • Extrapolation der risikolosen Zinskurve: Die Smith-Wilson-Methode wird abgelöst, wobei in Zukunft auch Marktdaten jenseits des “First Smoothing Points” berücksichtigt werden. Der Erhöhung der versicherungstechnischen Rückstellungen und des SCR (Solvency Capital Requirement) wird durch einen Phase-In-Mechanismus bis 2032 in Zeiten extremer Niedrigzinsen entgegengewirkt.
  • Zinsschock: Künftig sollen auch negative Teile der Zinskurve entsprechend geschockt werden.
  • Volatilitätsanpassung: Grundlegende Änderung in der Formel, wobei auch unternehmensspezifische Kenngrößen einfließen. Insgesamt ist von einer Entlastung auszugehen. Die Anwendung der Volatilitätsanpassung soll künftig genehmigungspflichtig werden, eine dynamische Volatilitätsanpassung weiterhin auf interne Modelle beschränkt bleiben.
  • Langfristige Aktieninvestments: Diese sollen künftig unter bestimmten Voraussetzungen einem geringeren Schock und damit geringerer Eigenmittelhinterlegung unterliegen.
  • Risikomarge: Der von EIOPA vorgeschlagene Lambda-Zugang wird voraussichtlich übernommen, die größte Änderung ist jedoch die von der Kommission angedeutete Senkung des Kapitalkostensatzes von 6 % auf 5 %. Dies liefert auch in den Auswirkungsstudien der Kommission die größte Entlastung für die Unternehmen.
  • Symmetrische Anpassung: Erhöhung von 10 % auf 17 %, wodurch die Wirksamkeit erhöht und der SCR stabilisiert werden soll.
  • Reporting: Der SFCR (Bericht über Solvabilität und Finanzlage) soll künftig in zwei Teile getrennt werden, wobei einer an Versicherungsnehmer gerichtet ist, der andere vornehmlich an Investoren (“andere Marktteilnehmer”). Die Fristen für RSR (Regular Supervisory Report, regelmäßiger aufsichtlicher Bericht), Solo-SFCR und Gruppen-SFCR wurden jeweils um vier Wochen auf 18 bzw. 24 Wochen verlängert.

Andere vorgeschlagene Änderungen haben in Österreich vermutlich weniger Auswirkungen, wie z. B. die externe Prüfung der Solvenzbilanz, die Erhöhung der Grenzen zur Anwendbarkeit oder die Einführung von “Low-Risk Undertakings” mit Erleichterungen.

Bei vielen der Änderungen ist aufgrund der zahlreichen ausstehenden Details der delegierten Verordnung die genaue Analyse noch schwierig, der Kommissionsvorschlag gibt jedoch einen guten Einblick, in welche Richtung die weitere Ausgestaltung gehen wird.

Schieflage bei Unternehmen ausgespart

Ein Thema, das die Kommission gänzlich ausgespart hat, sind europaweite Regelungen zu Insurance Guarantee Schemes (IGS), obwohl gerade EIOPA dies immer wieder fordert. Zu unterschiedlich sind in diesem Bereich die bestehenden einzelstaatlichen Regelungen.

Andererseits nimmt die Kommission das Thema Sanierung und Abwicklung von Versicherungsinstituten ebenfalls nicht in die Solvency-II-Rahmenrichtlinie auf, sondern legt stattdessen eine eigene Richtlinie – die IRRD (Insurance Recovery and Resolution Directive) – vor. Der vorliegende Entwurf orientiert sich stark an der entsprechenden Banken-Abwicklungsrichtlinie (BRRD) und fordert vor allem von einem Großteil des Marktes, einerseits Sanierungspläne vorzubereiten und andererseits durch die Aufsicht Abwicklungspläne aufzustellen.

Langer Weg bis zur Anwendung

Bis zur tatsächlichen Anwendung der Änderungen an Solvency II dürfte jedoch noch einige Zeit vergehen. In einem ersten Schritt ist nun der sogenannte “Trilog” am Zug, wobei sich die drei europäischen Institutionen (Europäischer Rat, Europäische Kommission und Europäisches Parlament) auf die endgültige Version der Änderungen der Rahmenrichtlinie verständigen. Diese Verhandlungen können durchaus mehrere Monate dauern und sich über mehrere EU-Präsidentschaften erstrecken. Insofern ist wohl mit einem Beschluss der Änderung der Rahmenrichtlinie erst im zweiten Halbjahr 2022 zu rechnen. Ab diesem Zeitpunkt haben dann die Mitgliedsstaaten üblicherweise 18 Monate Zeit, die Änderungen in lokales Recht zu transformieren. Die darauf aufbauenden Änderungen der delegierten Verordnung und der technischen Standards durch die Kommission können formal erst nach dem Beschluss zur Rahmenrichtlinie durchgeführt werden. Es ist jedoch Usus, dass Vorabentwürfe bereits im Vorfeld zirkulieren.

Insofern dürfen wir gespannt auf die Entwicklungen im kommenden Jahr blicken, mit der Anwendbarkeit in der täglichen Solvency-II-Praxis ist jedoch frühestens mit Mitte 2024 zu rechnen.

Dr. Reinhold Kainhofer leitet das aktuarielle Team bei Ernst & Young in Wien.

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