Der Name ist Programm, die Alterssicherungskommission hat die Aufgabe, der Bundesregierung Berichte über die langfristige Entwicklung und Finanzierung der Pensionen und damit der Alterssicherungssysteme vorzulegen. Ausführlich sind die Aufgaben der Alterssicherungskommission, kurz ASK, im Alterssicherungskommissions-Gesetz dargestellt. Das Bundesgesetz liegt in der fünften Auflage seit Inkrafttreten des am 01.01.2017 vor. Der Vorgänger der ASK hieß Pensionssicherungskommission.
Konkret liefert die ASK bis spätestens 30. November eines jeden Jahres Mittelfristgutachten für die folgenden fünf Jahre. Das aktuelle Gutachten läuft demnach bis 2026. Der zweite Teil, das Langfristgutachten, muss ebenfalls bis zum 30. November vorliegen, und zwar jedes dritte Jahr bis zum Jahr 2050. Die Verpflichtung zur Vorlage des Langfristgutachten wurde aufgrund der Corona-Pandemie verschoben und liegt nun erstmalig vor.
Hon.-Prof. Dr. Walter Pöltner war von 22. Mai bis 3. Juni 2019 (also gleich nach Ibiza) Sozialminister und ist seit 7. November 2019 Vorsitzender der ASK. Der Jurist hielt am 7. Dezember im Actuarial Modelling Club einen launigen Online-Vortrag. Auf Wikipedia ist zu lesen, “Berichte über seine Person erwähnen in der Regel seine musikalischen Interessen”. Bei Pöltners Vortrag aus seinem Arbeitszimmer hing die Gitarre gleich hinter ihm. Soweit lässt sich dieser Eintrag oberflächlich bestätigen.
Der Actuarial Modelling Club (AMC) ist eine Kooperationsveranstaltung der Forschungsgruppe für Finanz- und Versicherungsmathematik (FAM) der TU Wien und der AVÖ. Pöltners Vortrag stieß auf reges Interesse. Knapp 160 Teilnehmerinnen und Teilnehmer folgten seinen Ausführungen.
Gesamthaftes Monitoring auf Österreichisch
Zurück zur Alterssicherungskommission und zu deren Berichten. Die Kommission unter Pöltners Vorsitz ist mit 14 stimmberechtigten Mitgliedern und sechs nicht-stimmberechtigten ExpertInnen besetzt. Sie soll ein Monitoring der Pensionen der Pflichtversicherten, der Landes- und BundesbeamtInnen und der ÖBB-Bediensteten ermöglichen. Die Idee ist eine gemeinsame Betrachtung, die Wirklichkeit sieht getrennte Berichte für Pflichtversicherte und BeamtInnen vor. Konkret gibt es also vier Berichte. Alle vier sind auf der Website des Sozialministeriums abrufbar. “Die Gutachten, die durch die Kommission beschlossen werden, basieren auf den demografischen Daten der Statistik Austria und den ökonomischen von WIFO und IHS”, erklärt Pöltner.
Dass die ExpertInnen nicht stimmberechtigt sind, bedauert Pöltner, meint aber gleichzeitig: “Die Expertinnen und Experten werden sich hüten, Annahmen, beispielsweise zur Entwicklung der Erwerbsquoten, zu treffen.” Der Jurist und Spitzenbeamte beschreibt die jährlich stattfindenden Sitzungen der Kommission als “ewig gleiches Argumentieren der großen Fraktionen”, wobei Vorsicht das oberste Gebot sei. Weil hinter jeder Annahme die Angst vor der Vorbereitung auf eine neue Pensionsreform und infolge auf Pensionskürzungen stehe.
Kennzahlen und die Suche nach Kompromissen
Und dann erzählt Pöltner, wie er im Vorfeld der Sitzung gemeinsam mit seiner Stellvertreterin Ingrid Korosec versucht, bei den Interessensvertretungen einen Kompromiss der Produktivitätszuwächse herbeizuführen. “Ich schlage nicht 1,0 Prozent, nicht 1,5 Prozent, sondern 1,3 Prozent vor, wie bei einem Kuhhandel, ohne wissenschaftliche Grundlage”, so Pöltner.
Dazu sei erwähnt, dass es Usus ist, dass die Mitgliedsstaaten bessere Annahmen treffen als etwa der Ageing-Bericht der EU-Kommission, der in der Regel pessimistischer ausfällt. Ganz so willkürlich wird diese Kennzahl des Fachmanns für Soziales wohl dann doch nicht sein, schließt die AVÖ-Online-Redaktion.
Das ernüchternde Ergebnis dieser langwierigen Abstimmungsprozesse: Der ÖGB lehnte das Langfristgutachten schlussendlich ab. In einer Aussendung titelten AK und ÖGB AK & ÖGB zu Alterssicherungskommission: Soll Gutachten Grundlage für Pensionskürzungen liefern? Mag. Wolfgang Panhölzl, Leiter der AK-Abteilung Sozialversicherung moniert darin, “die Wirtschaftsannahmen sind unplausibel niedrig und führen zu einer erhöhten Darstellung des Pensionsaufwandes”. Die jetzt adaptierten Änderungen würden sich nicht mit anderen Prognosen, etwa dem Ageing Report der EU-Kommission, decken, ergänzt ÖGB-Pensionsexpertin Mag. Dinah Djalinous-Glatz. Beide sind Mitglieder der ASK. “Daher haben wir auch das vorliegende Langfristgutachten über die gesetzliche Pensionsversicherung abgelehnt”, begründet Djalinous-Glatz.
Dr. Franz Schellhorn, Leiter des Thinktanks Agenda Austria, sieht das freilich anders: “Seit längerem ist klar, dass das öffentliche Pensionssystem nicht gut aufgestellt ist”, schreibt er in einer Aussendung als Reaktion auf einen Bericht in der Wiener Zeitung am 17. November 2021, also noch vor der Sitzung der ASK. Das Verhältnis von PensionsbezieherInnen zu den EinzahlerInnen gerate immer stärker in Schieflage. Ohne Reform werde das Pensionsloch bis 2030 deutlich wachsen. Schellhorn: “Bereits heuer wird mehr als jeder fünfte Euro aus dem Bundesbudget zum Stopfen des Pensionslochs verwendet.”
Pöltner berichtet im AMC, dass wir 2020 15,6 Prozent des BIP für Pensionen ausgegeben haben. Die Prognose für 2070 liegt mit 15,4 Prozent sogar etwas darunter. “Daher argumentieren wir, dass wir in der Alterssicherung kein Problem haben. Ich sehe hingegen eine Menge Probleme. Es gibt aber Null sozialpolitischen Gestaltungswillen. Ministerien sind auf schlichte Verwaltung reduziert. Keiner traut sich etwas sagen, dann wird man in fünf Jahren wiederbestellt”, resümiert der ASK-Vorsitzende.
“Eh ois leiwand”
Und so bleibt in Österreich wenig Spielraum für Diskussionen und innovative Denkansätze, die die Veränderungen in der Arbeitswelt, etwa höhere Lebenserwartung, Digitalisierung und flexiblere Beschäftigungsmodelle, berücksichtigen. Pöltner nennt in diesem Zusammenhang den Work-Ability-Index (WAI) des finnischen Professors Juhani Ilmarinen, ein Befragungsverfahren, das die subjektive Arbeitsfähigkeit von Beschäftigten erfasst und bewertet. Über einen Online-Fragenbogen auf der Website des WAI-Netzwerks können Interessierte eine Einschätzung ihrer aktuellen und zukünftigen Arbeitsfähigkeit abrufen.
“Nichts davon wurde in den letzten fünf bis sechs Jahren besprochen – das ist nicht interessant genug, da bekommen Sie keine Message in der Zeitung”, sagt Pöltner. Also “eh ois leiwand”, scherzt er. Es sei ihm auch völlig unklar, warum keine VersicherungsmathematikerInnen in der Kommission säßen, die sich mit diesem Thema am besten auskennen. Auch waren diese Fachleute in der alten Pensionsversicherungskommission vertreten.
Ob aus persönlicher Konsequenz ob dieses Stillstands oder aus anderen Gründen, Pöltner tritt als Vorsitzender zurück, eine Nachfolgerin bzw. ein Nachfolger ist noch nicht bestimmt. NEOS-Sozialsprecher Gerald Loacker kommentiert den Rücktritt in einer Aussendung so: “Jetzt tritt mit Walter Pöltner ein kluger Kopf aus Frust zurück, weil die Kurz-Regierung so viel Geld verbläst, dass es selbst ihm als ehrlichen Sozialdemokraten zu viel wird.” Stein des Anstoßes sei die (sozial) gestaffelte Pensionserhöhung, die mit 1. Jänner 2022 in Kraft tritt, und die wohl weitere Löcher in den Staatshaushalt reißen wird. Gegenüber der AVÖ-Online-Redaktion begründet der ASK-Vorsitzende seinen Schritt so: “Wenn eine Regierung zur Stabilität der Alterssicherung eine Task Force einrichtet. Wenn ich mich redlich bemühe, Probleme, Wechselwirkung und Systemzusammenhänge darzulegen. Wenn niemand auch nur in Ansätzen daran Interesse, schon gar nicht politischen Gestaltungswillen erkennen lässt, dann betrachte ich mich als gescheitert. Wir schaffen derzeit politisch nicht einmal die Gegenwart, wen interessiert da Zukunft. Die Zukunft ist aber die Gegenwart unserer Kinder, dafür haben wir Verantwortung!”
Pöltner sieht aufgrund der demografischen Entwicklung – wir werden älter – drei große Herausforderungen: Gesundheit, Pflege und Pensionen. Es fehle dafür nicht nur das Geld, es fehlten auch die Fachkräfte. “Wir verschließen die Augen und glauben, damit das Problem gelöst zu haben”, sagt Pöltner zur AVÖ-Redaktion. “Unser Sozialsystem stammt weitgehend aus dem 19. und dem frühen 20. Jahrhundert. Kann dieses System den Anforderungen einer modernen Gesellschaft im 21. Jahrhundert noch gerecht werden?” Wohl eher nicht. “Da gibt es viel zu tun!”, gibt uns der Experte mit auf den Weg.